„Schon wieder ein Beitrag zum Thema ‚Freundschaft oder Führung‘?!“, wirst du jetzt vielleicht denken. Ich glaube, kein Thema spaltet die Reiterwelt so sehr wie diese Gretchen-Frage des Reitsports.
Doch fast so häufig wie man diese Überschrift liest, findet man auch Kommentare, die vor allem eines bedienen: Die Beantwortung der Frage aus der Sicht des Menschen.
Wir stellen uns diese Frage gerne und beantworten sie noch lieber aus unserer Sicht, damit wir eine möglichst zufriedenstellende Antwort erhalten und das Gefühl haben, wir machen alles richtig.
In diesem Beitrag möchte ich dich jedoch ermutigen, die Situation einmal aus der Sicht des Pferdes zu sehen – was BRAUCHT mein Pferd, damit es ein gutes, ein lebenswertes Leben in unserer Menschenwelt leben kann?
Um diese Frage zu beantworten, sollten wir zunächst eine ganz grundlegende Frage klären: Was braucht mein Pferd überhaupt, um gut Leben zu können?
Na klar, Futter, Wasser und ein Dach über dem Kopf, wirst du jetzt vielleicht denken.
Ja und nein – natürlich sind diese physiologischen Bedürfnisse für ein Pferd wichtig. Aber anders als bei uns Menschen gibt es für Pferde einige Dinge, die noch wichtiger sind.
Abraham Maslow erstellte eine Pyramide, mit welcher er die menschlichen Bedürfnisse hierarchisierte, um zu verstehen, aus welchen Motiven heraus Menschen handeln.
Ganz unten, quasi als Fundament, findet man hier die sogenannten „Grundbedürfnisse“ wie Essen, Trinken, Schlafen und die körperliche Unversehrtheit. Von unten nach oben baut sich diese Pyramide anschließend aus den folgenden Bedürfnissen zusammen: Materielle und berufliche Sicherheit, soziale Sicherheit wie Freundschaft, Zugehörigkeit und Liebe, Wertschätzung und als Spitze das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung.
Diese Bedürfnisse sind nach Wichtigkeit geordnet. Das erscheint uns natürlich mehr als logisch – wer Hunger hat, wird nicht nach Selbstverwirklichung streben.
Doch wir dürfen nicht vergessen, was wir, trotz vieler Jahre der Evolution sind: Wir sind Jäger, also Raubtiere. Wir „jagen“ nach materiellen Dingen und Anerkennung.
Trotz einiger Unterschiede lässt sich diese Hierarchie auch auf andere „Raubtiere“ im Tierreich übertragen – ein Hund beispielsweise ist uns in seinen Bedürfnissen sehr ähnlich – auch er wird zunächst nach Nahrung suchen und materielle Dinge „jagen“.
Ein Pferd jedoch, das als Flucht- bzw. Beutetier auf die Welt kommt, setzt seine Prioritäten etwas anders – für diese Tierart steht die Sicherheit an oberster Stelle! Ein Pferd in Todesangst frisst nicht! Es wird alles daran setzen, Sicherheit zu finden und sich erst viel später mit der Nahrungssuche beschäftigen.
Das erklärt übrigens auch, warum ein Pferd, das WIRKLICH Angst davor hat, in den Pferdehänger zu gehen, sich auch nicht mit Karotten dazu überreden lässt.
Doch was haben diese Bedürfnisse nun mit dem Thema Freundschaft oder Führung zu tun?
Wenn wir wissen wollen, was unser Pferd braucht, müssen wir verstehen, nach was unser Pferd sucht.
Die vier Grundbedürfnisse des Pferdes (in der Reihenfolge der Wichtigkeit):
- Sicherheit
- Komfort
- Spiel/Spaß
- Futter
Erst wenn die ersten drei Bedürfnisse erfüllt sind, befriedigt ein Pferd das Bedürfnis, welches für ein Raubtier die höchste Priorität hat!
Schauen wir uns also die Bedürfnisse des Pferdes im Einzelnen an:
Sicherheit
Pferde suchen Sicherheit. Pferde finden Sicherheit in ihrer Herde. Das hast du sicherlich schon einmal gehört.
Nehmen wir das Pferd aus seiner Herde, so braucht es eine andere Sicherheitsquelle, damit es sich wohlfühlt. So gesehen bilden auch wir, wenn wir mit dem Pferd Zeit verbringen, eine winzige Herde.
Selbst in einer solchen „Mini-Herde“ kann das Pferd Sicherheit finden, wenn wir uns geschickt anstellen.
Eine Herde in freier Wildbahn wird in der Regel von einem Leithengst und einer Leitstute angeführt. Der Hengst übernimmt hierbei die Rolle des Beschützers gegen Angreifer und fremde Herden, die Stute führt die Herde zu Futter und Wasser.
In unserer Zivilisation leben die wenigsten Pferde in einer solchen ursprünglichen Herdenkonstellation zusammen. Trotzdem gibt es auch hier verschiedene Rollen und eine Rangordnung, um die Herde zu strukturieren.
Ist also doch etwas dran an der Dominanztheorie? Muss ich meinem Pferd zeigen, wer der Chef ist, es unterwerfen und dominieren, damit ich sein Bedürfnis nach Sicherheit befriedigen kann?
Nein, denn ganz so schwarz-weiß ist es zum Glück nicht!
Auch in einer natürlichen Herde überzeugt ein Leittier nicht unbedingt durch körperliche Überlegenheit – oder warum sonst könnte der alte Shetty-Wallach in der Rangordnung höher sein als der 2-jährige Hannoveraner-Hengst?
Ein guter Anführer, oder besser „Leader“, überzeugt vor allem durch ein souveränes Auftreten und einen Plan, den er verfolgt.
Pferde fühlen sich dann besonders sicher, wenn sie das Gefühl haben, der Leader weiß, was er tut und will das Beste für sie und die restliche Herde.
Genau diese Eigenschaften eines Leaders erlauben es auch, dass das Pferd in unserer Nähe Komfort findet. Es braucht einen guten Plan und vor allem ein sehr gutes Timing, um dem Pferd zu zeigen, dass es auch sehr komfortabel in unserer Nähe ist.
Wenn Pferde sich sicher fühlen, sind sie einen Großteil des Tages damit beschäftigt, möglichst komfortabel und ökonomisch zu leben – oder hast du schon einmal ein Pferd gesehen, das 18 Stunden am Tag versucht, im Galopp zu grasen? ;)
Komfort
Pferde sind natürliche Energiesparer – denn diese gesparte Energie kann im Ernstfall zum Lebensretter werden.
Doch wie kann ich denn nun auch dieses Bedürfnis des Pferdes erfüllen? Muss ich also den ganzen Tag mein Pferd in Ruhe lassen und darf keine (sportlichen) Leistungen mehr erwarten?
Kann ich quasi nur noch Weidekumpel für mein Pferd sein?
Nein, denn Pferde haben ja auch das Bedürfnis nach Spiel und Spaß. Dazu jedoch später mehr.
Wie erreiche ich, dass mein Pferd sich komfortabel fühlt?
Zum einen natürlich, indem ich seine Bedürfnisse wahrnehme und befriedige. Zum anderen ist es aber auch etwas komplexer: Bringe ich ein Pferd in eine Situation, die etwas unkomfortabel ist, indem ich z.B. von einem eher unmotivierten Pferd Galopp unter dem Reiter verlange, so ist es meine Aufgabe, nicht wie ein Diktator dies durch Zwang durchzusetzen, sondern entsprechend der Persönlichkeit des Pferdes seine Bedürfnisse anzuerkennen und zu nutzen. Ein Pferd, das nicht gerne vorwärts geht, findet wahrscheinlich in einer Pause Komfort. Dies kann ich nutzen und zunächst nur verlangen, dass das Pferd eine kurze Seite des Reitplatzes galoppiert, danach erhält es Komfort in Form einer Pause.
Okay, damit scheint die Theorie der Unterwerfung eindeutig widerlegt zu sein. Auch das Bedürfnis nach Spiel und Spaß lässt sich nur schwer damit in Verbindung bringen.
Aber was ist dann mit der Freundschaft? Solltest du dann der beste Freund deines Pferdes werden?
Beste Freunde fühlen sich sicher, haben es gemütlich zusammen und Spaß macht es ja schließlich auch, mit einem guten Freund um die Häuser zu ziehen.
Ich würde sagen, auf diese Frage sollte zunächst die Gegenfrage kommen, wie du eine gute Freundschaft definierst.
Wenn ein Freund für dich nur dafür da ist, möglichst deine Bedürfnisse zu befriedigen und dabei seine eigenen hinten anstellt, dann würde ich verneinen.
Nein, du musst nicht alle deine Überzeugungen und Grundsätze aufgeben und dich nur noch darum kümmern, dass dein Pferd lebt wie die Made im Speck.
Spaß
Wenn du aber der Meinung bist, eine Freundschaft beruht auf Gegenseitigkeit und lebt von gemeinsamen Regeln, die die Freundschaft für beide Partner zu etwas angenehmen und bereichernden macht, dann würde ich wohl zustimmen.
Ein Pferd, das keine Angst vor z.B. Pylonen auf dem Reitplatz hat, wird schnell Spaß daran finden, diese mit Maul, Hufen und allem, was noch zur Verfügung steht, zu untersuchen und dadurch zu zerstören.
Aber ist es auch dein Bedürfnis, jede Woche neue Gegenstände zu kaufen, die dein Pferd im gemeinsamen Spiel zerstören darf? Wohl kaum – Du siehst, dieses Beispiel ist vielleicht etwas platt, zeigt aber deutlich, dass wir nicht zum Spielball unserer Pferde werden sollten. Genau so wenig übrigens, wie wir auch zum Spielball anderer Menschen werden sollten.
Gegenseitige Wertschätzung und Anteilnahme an der Welt des anderen sind unabdingbar für eine Freundschaft und für Spaß zusammen.
Während wir also das Spielbedürfnis des Pferdes befriedigen, dürfen wir unsere eigenen Bedürfnisse nicht vergessen – denn auch wir haben ein Bedürfnis nach körperlicher Unversehrtheit.
Wie oft sehe ich Pferde, die tolle „Tricks“ können und die eine Menge Spaß am Steigen und Springen auf Kommando haben, dabei jedoch ihren Menschen gefährlich nahe kommen und damit eines der wichtigsten Bedürfnisse ihres Menschen verletzen, weil die Menschen nicht für ihre Bedürfnisse einstehen.
Futter
Auch beim letzten Grundbedürfnis des Pferdes, dem Futter, geht es ähnlich zu: Zwar müssen wir unbedingt dieses befriedigen, doch müssen wir auch darauf achten, dass die gemeinsamen Spielregeln eingehalten werden. Oder würdest du deinem besten Freund so ungestüm den Teller mit dem Kuchen aus der Hand reißen, dass er sich an der dabei überschwappenden Tasse mit heißem Kaffee verbrennt?
Wir Menschen sind in der Lage, auch komplexe Handlungszusammenhänge zu erkennen und Vorgänge logisch zu durchdenken.
Pferde handeln viel schneller aus einem Instinkt heraus und können die Folgen ihrer „Taten“ nicht im Voraus erkennen.
Deshalb ist es wichtig, dass wir diese Rolle ausfüllen und gute Entscheidungen treffen, die dem Pferd ermöglichen, auf uns zu vertrauen und in unserer schnellen, von Menschen gemachten, Welt gut zurechtzukommen.
Denn ein Pferd, das in unserer heutigen Welt sich selbst überlassen wird und ständig eigene Entscheidungen treffen muss, wird früher oder später Entscheidungen treffen, die für ein ursprüngliches Pferd in freier Wildbahn vielleicht schlau sind, es in unserer Welt voller Autos und anderer unnatürlicher Gefahren aber in große Bedrängnis bringen werden.
So, nachdem wir nun sehr lange über die Frage „Was braucht mein Pferd?“ nachgedacht haben, möchte ich abschließend noch einmal zu den beiden gegensätzlichen Polen der Ausgangsfrage kommen:
Freundschaft oder Führung?
Wie du vielleicht beim Lesen gemerkt hast, stehen diese beide Begriffe für mich persönlich gar nicht so sehr in einem Spannungsverhältnis, wie du vielleicht von anderen Pferdemenschen suggeriert bekommen hast.
Ich bin sogar eher der Meinung, diese beiden Begriffe gehören in unserer Pferd-Mensch-Beziehung unbedingt zusammen und sollten lediglich in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen:
Führung ohne Freundschaft würde unseren geliebten Vierbeinern ebenso wenig gerecht werden, wie Freundschaft ohne Führung, brauchen sie doch dringend die Unterstützung eines „Experten“, um in unserer technologischen Welt Sicherheit, Komfort, Spiel und Futter zu finden.
Wichtig ist jedoch, dass ich den Begriff der Führung nicht wertend verwende. Das ist auch der Grund, warum ich den Begriff des „Leaders“ bevorzuge, da dieser im Deutschen nicht negativ konnotiert ist.
Je besser die gemeinsamen Spielregeln etabliert sind und je mehr sich unser Pferd auf uns verlässt, beziehungsweise je mehr wir uns als souveräner Leader etabliert haben, desto mehr „Demokratie“ können wir in unsere Beziehung aufnehmen – ein optimales Verhältnis aus Führung und Freundschaft könnte etwa 51% Führung zu 49% Freundschaft sein.
Viel Liebe und Wertschätzung des Gegenübers, aber mit diesem einen Prozent mehr Führung, um in wichtigen und oft auch gefährlichen Situationen das Fluchttier Pferd mit unserem logischen menschlichen Denken überstimmen zu können. Nur so können wir sicherstellen, dass uns das Pferd an einer vielbefahrenen Straße nicht überstimmt und losstürmt, wenn wir eigentlich ein entspanntes Stillstehen brauchen!
Einen kleine Haken gibt es an dieser sehr harmonischen Vorstellung der Beziehung jedoch noch: Oft vertrauen uns unsere Pferde noch nicht genug, um sich vertrauensvoll unterzuordnen und uns sprichwörtlich durchs Feuer zu folgen.
Dieses Vertrauen müssen wir uns verdienen – eben wie sich ein bester Freund diese tiefe Verbundenheit auch erst über eine lange Zeit verdienen muss.
Hierfür bedarf es Zeit, einen guten Plan und die Bereitschaft, das eigene Handeln immer wieder zu reflektieren und sich selbst zu verbessern.
Wenn du diese tiefe Verbundenheit nun auch mit deinem Pferd anstrebst, aber nicht genau weißt, wie du das erreichen kannst und den Spagat zwischen Freundschaft und Führung schaffst, dann buche gerne ein kostenloses Erstgespräch, damit wir ganz unverbindlich sprechen können, wie ich euch auf diesem Weg möglichst gut unterstützten kann!
Ich wünsche dir eine wundervolle Zeit mit deinem Pferd!
Bis bald,
deine Kathi